Interview über Christine Brückner: „Im Walhall der Schriftsteller“
HNA, 10.12.11

Heute würde Christine Brückner 90 Jahre alt. Was bleibt vom Werk der Autorin? Ein Gespräch mit dem geschäftsführenden Kurator der Stiftung Brückner-Kühner, Dr. Friedrich W. Block.

Sie arbeiten mit dem Nachlass und in der Wohnung von Christine Brückner und Otto Heinrich Kühner. Sie kommen beiden sehr nah. Mutet Ihnen das manchmal merkwürdig an?

Friedrich W. Block: Ich bin jeden Tag bis zu zehn Stunden in dieser Wohnung. Sie ist mir selbst zum Zuhause geworden. Beide sind mir über die Freundschaft hinaus noch viel mehr ans Herz gewachsen – als eine Mischung aus Eltern und Großeltern. Sie haben mich ein Stückchen als Wahlsohn begriffen. Der bin ich geworden.

Das eigene Zuhause verändert man im Lauf der Zeit. Dürfen Sie das auch?

Block: Das Haus ist unverändert, aber es hat hohen Authentizitätswert, weil es nicht im klassischen Sinne museal ist, also nicht eingefrorene Zeit zeigt. Es ist belebt, ich arbeite, es wohnt immer eine Studentin da, also werden Küche, Esszimmer, Bad, Gästezimmer benutzt. Auch beim Inventar gibt es nicht-museale, lebendige Inseln, die das Publikum goutiert. Auf dem Fernseher stehen die neuesten Publikationen. Auf den Schreibtisch lege ich die Post, die heute noch eingeht.

Dieses Häuschen in der Kasseler Südstadt ist eher bescheiden. Das spricht nicht für ein Bedürfnis nach Repräsentation. Passt das zu den beiden?

Block: Absolut. Beide sind Jahrgang 1921, beide sind Pfarrerskinder. Das Ethos des evangelischen Pfarrhauses ist prägend. Dazu gehört, dass man nicht materiell repräsentiert. Wenn man überhaupt an so etwas denkt – das wäre naheliegend bei mehrfachen D-Mark-Millionären -, dann, dass man sich Wohltätigkeit leistet. Sie haben viel gespendet und viel bewegt, ob das eine neue Orgel in ihrem Geburtsort Schmillinghausen war oder die Neugestaltung des Sakralraums der Markuskirche in Kassel. Bis hin zu Briefen, in denen Tutsi-Mädchen aus Afrika noch immer um Schulgeld bitten.

Ein Vermächtnis ist der Literaturpreis für grotesken Humor, den Stiftung und Stadt Kassel vergeben. Würden sich die Stifter über die Entwicklung freuen?

Block: Davon bin ich überzeugt. Dass sie 1984 die Stiftung ins Leben gerufen haben, ist ihr größtes Werk. Ihr Ziel war, etwas für das Komische in der Literatur zu tun, es künstlerisch wertzuschätzen. Wir haben das Programm wesentlich erweitern können. Das ist ein würdiges, lebendiges Andenken, auch weil wir uns um Dinge kümmern, die nicht marktkonform sind. Das hätte sie sehr gefreut.

Wie leicht oder schwer ist es, ihr Werk am Leben zu erhalten?

Block: Ich sage es mal so: Bei Kühner – der seit Mitte der 80er krank war – muss man sich mehr anstrengen, weil er bereits zu Lebzeiten nur noch auf dem Buchmarkt präsent war, weil Brückner ihn gepusht hat. Sie hat sich ihren Platz in der Literaturgeschichte erschrieben, trotz des unschönen Etiketts der Unterhaltungsschriftstellerin, das nicht stimmt. Sie hat einen dauerhaften Platz im Walhall der Schriftsteller.

Ein Schriftsteller-Paar – gab es da Rivalität und Konkurrenz?

Block: Natürlich wird es Spannung gegeben haben, das kann nicht anders sein, vor allem, wenn in dieser Generation die Geschlechterdifferenz zu Ungunsten des Mannes ausgeht. Da habe ich große Hochachtung vor Kühner, der aus Liebe die Spannung sublimiert hat. Er war ihr erster Leser, hat sie als Lektor unterstützt.

War sie eine fortschrittliche, emanzipierte Frau?

Block: Ja, aber nicht im Sinn, dass sie sich vor einen linken Feminismus hätte spannen lassen. Dieser hat sie argwöhnisch und ablehnend behandelt. Sie war eine selbstbewusste Frau, eine Moralistin, sie hat daraus keinen Hehl gemacht. Aber ihr Selbstverständnis war im Wesentlichen ein christliches.

Aus welchen Quellen hat sie geschöpft, war es das Christliche?

Block: Ihr Vater gehörte der Bekennenden Kirche an, dazu hat auch sie sich bekannt. Außerdem ist es die Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Sie ist nicht von ungefähr als Enkelin Fontanes bezeichnet worden. Aber sie ist keine Epigonin.

Ist sie Ihnen manchmal fremd?

Block: Ja, in vielen ihrer dezidierten Urteile über Kunst und Literatur. Ihr Mann hatte lange Zeit ein größeres Renommee, er hat ein sehr breites, viel formaleres, experimentelleres Œuvre geschaffen. Das blendete sie aus. Da wird sie mir fremd, weil ich Kühner außerordentlich schätze und selbst in der experimentellen Literatur beheimatet bin.

Von Mark-Christian von Busse

Zur Person:

Christine Brückner wurde am 10. Dezember 1921 in Schmillinghausen bei Bad Arolsen geboren. Viele ihrer Bücher wie die Poenichen-Trilogie und „Wenn Du geredet hättest, Desdemona“ erzielten Millionenauflagen. Mit ihrem zweiten Mann und Schriftstellerkollegen Otto Heinrich Kühner lebte sie in der Hans-Böckler-Straße 5 in Kassel. Ihr Wohnsitz ist heute als Dichterhaus zugänglich. Die Kasseler Ehrenbürgerin starb am 21. Dezember 1996, zehn Wochen nach ihrem Mann.