Auf der Website Spielt Gedichte! sind alle aktuellen Informationen zum Projekt, dass 2021 entstand und sich seitdem weiterentwickelt, sowie diverse Gedichte als Volltext sowie deren kreative Umsetzungen durch Schüler:innen in Form von Videos zu finden. Allgemeine Informationen zum Projekt finden sich hier.
Es folgt ein Bericht über die allererste Runde „Spielt Gedichte!“ im Jahr 2021:
Im Rahmen des Jubiläumsprogramms anlässlich der 100. Geburtstage des Kasseler Schriftstellerpaares Christine Brückner und Otto Heinrich Kühner (beide 1921–1996) startete die Stiftung Brückner-Kühner in Kooperation mit dem Schultheaterzentrum Nordhessen, dem Offenen Kanal Kassel, der Well being Stiftung und dem Netzwerk Lyrik im Jahr 2021 das Projekt „Strebe zum Halben! Komische Lyrik auf die Bühne!“: Zeitgenössische komische Gedichte werden von Gruppen aus verschiedensten Schulen mit performativen Mitteln umgesetzt. Nach dem Auftakt, zu dem hier berichtet wird, wird das Projekt weiterentwickelt. Eine nächste Präsentation wird – sofern Corona es zulässt – für die Nordhessischen Schultheatertage vorbereitet. Einzelne Ergebnisse von Gedichtverarbeitungen aus dem Jahr 2021 sowie weitere werden demnächst hier auf der Website als Materialpool für Schüler:innen und Lehrende veröffentlicht.
Glücklicherweise konnten trotz der Pandemie nach einer an den Schulen denkbar schwierigen Vorbereitungsphase am 2. Juli 2021 die bisher erarbeiteten Ergebnisse in der UK 14 / Schultheaterzentrum Nordhessen präsentiert werden: Zehn Gruppen ganz unterschiedlicher Schulformen zeigten ihre Umsetzungen komischer Gedichte von Otto Heinrich Kühner, Dagmara Kraus, Christian Maintz, Dalibor Marković, Karla Reimert, Nora Gomringer, Michael Lentz u.a.. Die Verarbeitungen erfolgten mit Mitteln des darstellenden Spiels auf der Bühne, des Films, der Vertonung bzw. musikalischen Aufführung. Bei der Vorbereitung wurden sie dabei in Workshops von Autor:innen der Gedichte und weiteren Künstler:innen unterstützt. Die Schulgruppen kamen von der Schule am Wall, der Käthe-Kollwitz-Schule (Hofgeismar), dem Lichtenberg-Gymnasium, der Jacob-Grimm-Schule, der Elisabeth-Knipping-Schule, dem Wilhelmsgymnasium und dem Friedrichsgymnasium.
Die mit Gesprächen erweiterten Präsentationen in der UK14 erfolgten unter Beteiligung von Dagmara Kraus, Christian Maintz, Dalibor Marković und Karla Reimert, die ihre Gedichte vortrugen und sich mit den Schüler:innen und ihren Lehrer:innen bzw. Spielleiter:innen in Gesprächen zum bisherigen Prozess austauschten. Kurator Friedrich W. Block führte moderierend durch das vierstündige Programm, das nur von den aktiv Beteiligten live verfolgt werden konnte. Der Offene Kanal Kassel hat die Veranstaltung jedoch freundlicherweise gefilmt. Die Sendung kann in vier Teilen in der Mediathek des Offenen Kanals abgerufen werden:
Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4
Kulturamtsleiterin Carola Metz und Tobias Krechel für die Well being Stiftung hoben eingangs in ihren Grußworten die Zuversicht hervor, die nach entbehrungsreicher Zeit gerade für junge Menschen von dem Projekt und der Veranstaltung ausgehen würde. Friedrich Block erläuterte in seiner Einführung den Kerngedanken des Projekts: Es gehe darum, junge Menschen mit ganz unterschiedlichem Bildungshintergrund die Faszination zeitgenössischer Poesie zu eröffnen, indem die Schülerinnen und Schüler aktiv und kreativ auf Gedichte reagieren, sie umsetzen und inszenieren. Diese Form poetischer Bildung könne die jungen Menschen ermächtigen, die Vielfalt, Offenheit, Schönheit, Sprachsensibilität und kritische Kraft poetischer Texte zu erleben. Denn das Gedicht ermögliche wie wenig andere Kunstformen, den Erfahrungen mit den enormen Herausforderungen der Gegenwart Ausdruck zu geben. Die Komik helfe dabei, Schwellen zu überwinden, und das vermeintlich Schwere leichter zu nehmen, ohne es auszublenden.
Zu Beginn standen komische Gedichte von Otto Heinrich Kühner im Zentrum. Ausgesprochen vielfältig waren bereits hier die Umsetzungen: Ob nun als gekonnte Vertonung durch einen Musik-Leistungskurs und als körperbetonter Sprechakt auf der Bühne eines Kurses für Darstellendes Spiel der Jacob-Grimm Schule oder als hinreißender Film, der an der Schule am Wall entstand, deren Grundschüler aus verschiedensten Kulturen stammen.
Dalibor Marković hatte mit Förderschüler:innen der Käthe-Kollwitz-Schule in Hofgeismar eines seiner Sprechgedichte als Film umgesetzt. Im zuvor aufgezeichneten Gespräch betonte er, welche Möglichkeiten in einem kreativen Umgang mit Gedichten gerade auch für Kinder und Jugendliche stecken, die kaum lesen und schreiben können oder der deutschen Sprache nicht recht mächtig seien.
Dagmara Kraus, Christian Maintz und Karla Reimert trugen ihre Gedichte vor, deren Bildlichkeit sowohl szenisch als auch filmisch umgesetzt worden war – wirklich beeindruckend sind hier der Einfallsreichtum und auch die ästhetische Kraft der Verarbeitungen!
In den begleitenden Gesprächen hoben die Schülerinnen und Schüler hervor, wie befreiend und inspirierend sie die Möglichkeit erlebt hätten, sich Gedichte anders als mit einer klassischen Gedichtanalyse des Deutschunterrichts kreativ und subjektiv zu erschließen: Statt des Ringens um die richtige Interpretation und die Intention des Autors habe es vielmehr das Ringen um Wörter, Bilder und Klänge gegeben, ganz persönliche Zugänge und ein intensives Eindringen in die Welt des Gedichts.
Darin wurden sie von den anwesenden Autor:innen bestätigt: DIE richtige Interpretation gebe es gar nicht, dagegen Vielfalt und Mehrdeutigkeit, ihre vermeintliche Intention sei eine Fiktion. In dieser Hinsicht entspräche das Gedicht auch der Uneindeutigkeit gegenwärtiger Verhältnisse (Stichwort: „Ambiguitätstoleranz“).
Dagmara Kraus forderte denn auch ausdrücklich, dass aus diesen Gründen der kreative Umgang mit dem Gedicht unbedingt in den Lehrplänen aller Schulstufen festgeschrieben werden müsse. Und Karla Reimert, die am Berliner Haus für Poesie die Abteilung für poetische Bildung leitet, appellierte an die Schülerinnen und Schüler, Gedichte zu schreiben, an die Schulen, dies, wie es in vielen anderen Ländern der Fall sei, zu ermöglichen, und an die Lehrer:innen, Talente zu entdecken und zu fördern.
Alles in allem war das vierstündige Programm für alle Anwesenden absolut kurzweilig und erfrischend. Die Organisator:innen streben an, das einzigartige Projekt fortzusetzen und – sofern dafür Ressourcen gefunden werden – in Kassel zu verankern. Als nächstes wird an einer Website gearbeitet, um dort die vielen beeindruckenden Ergebnisse zugänglich zu machen.
Gefördert wurde das Projekt vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Kulturamt der Stadt Kassel sowie Lesungen und Gesprächen im Rahmen von „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien durch den Deutschen Literaturfonds.
Alle Fotos: Karl-Heinz Mierke. Copyright: Stiftung Brückner-Kühner und K.H. Mierke.